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Die durch das Corona-Virus ausgelöste Pandemie hat dramatisch in Erinnerung gerufen, wie anfällig die globalen Lieferketten sind. Lockdowns in Ländern rund um den Globus legten Produktionsstätten still, blockierten Transportrouten, reduzierten insbesondere die interkontinentalen Transportkapazitäten zur See und in der Luft und trafen viele Industriebetriebe völlig unvorbereitet. Nicht so das Technologieunternehmen Hamilton Bonaduz AG im Bündner Rheintal.
Der weltweite Bedarf an Beatmungsgeräten, Laborrobotern und weiteren Life-Science-Lösungen von Hamilton ist mit Corona äusserst stark angestiegen. Wie hat es das Unternehmen geschafft, lieferfähig zu bleiben ? CEO Andreas Wieland im Gespräch mit Daniel Bachofen.
Daniel Bachofen : Zu Beginn des Jahres 2020 haben wir festgestellt, dass das Virus nicht in China bleibt, sondern auch in Westeuropa angekommen ist. Was ist Ihnen damals spontan durch den Kopf gegangen ?
Andreas Wieland : Die weltweite Verbreitung von Covid-19 hat uns nicht überrascht. Schon vor Weihnachten 2019 haben mir Gespräche mit Geschäftspartnern in China aus den Bereichen Virologie und Blutbanken-Management gezeigt, dass hier eine grössere Sache auf uns zukommt. Mir war aus Erfahrung sofort bewusst, dass es bei der Beschaffung von Teilen aus Asien zu Engpässen kommen würde.
DB : Was haben Sie unternommen ?
AW : Gleich Anfang Jahr wies ich meine Leute an, in grossem Stil Material einzukaufen. Wir haben praktisch auf einen Schlag den Bedarf für ein halbes Jahr gedeckt. Diese Massnahme hat uns gegenüber der Konkurrenz einen erheblichen Vorsprung verschafft. Viele Mitbewerber realisierten den Ernst der Lage erst, als es beinahe zu spät war.
Dazu ist anzumerken, dass wir in unserem Geschäft keine Neulinge sind. Wir konnten uns auf Erfahrungen aus früheren Pandemien wie SARS-CoV-1 stützen und waren uns der Risiken bewusst, die diese mit sich bringen. Auch was die Versorgung betrifft.
DB : Ganz generell betrachtet – haben die Industrieunternehmen im Westen die Verletzlichkeit der globalen Lieferketten und die Abhängigkeit von asiatischen Beschaffungsmärkten wie China unterschätzt, oder gingen sie bewusst das Risiko von Unterbrüchen bei der Herstellung von Teilen oder von Blockierungen und Einschränkungen der Transportwege ein ?
AW : Eigentlich sollte man aus Erfahrung klug werden. Ich erinnere mich an den Ausbruch des Island-Vulkans 2010, der den internationalen Flugverkehr weitgehend lahmlegte. Vielleicht haben sich damals manche Unternehmen keine grossen Gedanken gemacht. Man neigt dazu, dort einzukaufen, wo die Preise günstig und die erforderlichen Lieferkapazitäten vorhanden sind. Die Risiken werden gerne ausgeblendet. Was das für Folgen haben kann, erleben zurzeit viele Firmen auf schmerzhafte Weise.
DB : Stichwort Risiko – Pandemien sind das eine, Cyber Security das andere. Wie schätzen Sie die Gefahr ein, dass Lieferketten durch Hacker-Angriffe beeinträchtigt oder gar unterbrochen werden ?
AW : Die Gefahr ist real und recht gross. Wir unternehmen grosse Anstrengungen, um die IT-Sicherheit zu gewährleisten. Es müssen nicht einmal Hacker sein, auch die Pandemie zeigt, dass die Bedeutung der Cyber Security kaum überschätzt werden kann. Störungen der IT-Systeme und -Netzwerke führen beispielsweise dazu, dass man nicht weiss, wo sich Transportbehälter gerade befinden, oder dass grosse Speditionsunternehmen nicht mehr funktionieren. Wir sind schon sehr verletzlich geworden.
DB : Welche konkreten Erfahrungen haben Sie in diesem Zusammenhang in der aktuellen Krise gemacht ?
AW : Zu Beginn der Pandemie gab es keine Schwierigkeiten, weil wir früh vorgesorgt hatten. Später mussten wir feststellen, dass Lieferungen aus China ins Stocken gerieten, weil die Luftwege unterbrochen waren, weil die Bahnen überlastet waren, weil LKWs an Landesgrenzen aufgehalten wurden. Verschärft hat sich die Lage für uns, weil wir zum Teil Medizingüter einkaufen, die von unseren Lieferanten plötzlich nicht mehr exportiert werden durften. Das hat uns schon ein bisschen Kopfzerbrechen bereitet.
DB : Waren die behördlichen Hindernisse, die Ihnen in den Weg gelegt wurden, überall in etwa gleich ?
AW : Das war sehr unterschiedlich. Zum Beispiel kaufen wir Leiterplatten und weitere Elektronik in grösseren Mengen in Sri Lanka ein. Dort gab es einen staatlich verordneten Produktionsstopp, sprich Lockdown. Damit war die Herstellung von Beatmungsgeräten akut gefährdet. Da es sich bei diesen Produkten um systemrelevante Güter handelt, hat sich Bundesrat Cassis persönlich bei der Regierung von Sri Lanka für uns eingesetzt. Der Bann wurde aufgehoben. Dieselbe Unterstützung durften wir mit demselben Resultat im Beschaffungsmarkt Indien erleben.
DB : Globale Lieferengpässe gibt es auch bei den heiss begehrten Chips. Sind Sie davon betroffen ?
AW : Wir haben wiederum früh, also bereits im Herbst 2020 gehandelt. Ich war überzeugt, dass die Nachfrage der Automobilindustrie nach Halbleitern nach Abklingen der Pandemie massiv ansteigen wird. Deshalb haben wir Elektronik eingekauft, was das Zeug hielt. Dies mit dem Risiko von Überschüssen. Für solche Schritte braucht es etwas unternehmerischen Mut. Aber das grösste Risiko besteht darin, nichts zu tun und in Beschaffungsengpässe zu geraten. Haben wir zu viel Material an Lager, brauchen wir es eben ein halbes Jahr später.
DB : Welche weiteren Massnahmen haben Sie getroffen, um sich vor Engpässen zu schützen ?
AW : Wir werden sicher vermehrt wieder eher regional, sprich im europäischen Raum, einkaufen. Es gab übrigens Partner, die die Situation ausgenutzt und die Preise erhöht haben. Mit diesen haben wir die Zusammenarbeit eingestellt.
DB : Erkennen Sie in der Schweiz einen Trend in Richtung lokaler Beschaffung und/oder lokaler Herstellung ?
AW : Was uns betrifft, geht der Weg in diese Richtung. Zum Beispiel werden wir Kunststoffteile, die wir bisher in Italien herstellen liessen, an unserem Zweitstandort in Domat/Ems produzieren. Ein Thema sind auch Verbrauchsmaterialien, die wir jederzeit kurzfristig liefern müssen. Dafür haben wir die Produktion in der Schweiz aufgebaut und sind im Begriff, dies auch in der Nähe unseres Werkes in den USA zu tun.
DB : Verursacht die lokale Produktion nicht höhere Kosten ?
AW : Im Gegenteil, die Kosten sind zum Teil massiv gesunken. Wir setzen voll auf Automatisierung. Dafür haben wir in der Schweiz hoch qualifizierte Ingenieure und eine hervorragende Infrastruktur. Zudem ist das Geld zurzeit billig. Ein weiterer Anreiz, um zu investieren.
DB : Mit der weltweiten Verbreitung von Covid-19 ist der Bedarf an Beatmungsgeräten massiv gestiegen. Sie wurden mit Anfragen und Bestellungen überhäuft. Gemäss den Gesetzen des Marktes hätten Sie die Preise massiv hochschrauben können.
AW : Wir haben keinen Rappen aufgeschlagen. Wir liefern unsere medizinischen Geräte dorthin, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Kriterien sind beispielsweise die Infektions- und Erkrankungsraten oder der Zustand des Gesundheitswesens. Es gab Regierungen und Botschaften, die bei uns interveniert und zum Teil Druck gemacht haben. Aber mit dem Argument, prioritär dort Hilfe zu leisten, wo diese am nötigsten ist, konnten wir die Forderungen immer parieren.
DB : Am 30.12.2020 war in der NZZ zu lesen, dass sich die Zahl der weltweit hergestellten Beatmungsgeräte im letzten Jahr verfünffacht hat und 2021 um den Faktor zehn auf ca. 30’000 bis 40’000 Geräte einbrechen wird. Es würde drei bis fünf Jahre dauern, bis das Überangebot abgebaut sei. Sehen Sie das auch so ?
AW : Man muss differenzieren. Die Pandemie hat vor allem die Nachfrage nach Low-Cost-Geräten in die Höhe getrieben. Also haben alle Anbieter Low-Cost-Geräte hergestellt. Wir auch – aber nicht nur. Spitäler mit hohen Ansprüchen verlangen nach hochwertigen Automaten. Diesem Bedürfnis haben wir früh entsprochen und bereits im April 2020 mit der Produktion von High-End-Geräten begonnen. Damit hat sich unsere Kundenbasis massiv erweitert. Dieser Markt bleibt also interessant. Übrigens haben wir im Dezember 2020 und im ersten Monat dieses Jahres mit Beatmungsgeräten etwa gleich viel Umsatz erzielt wie von Dezember 2019 bis Mitte April 2020.
DB : Basieren Ihre für Covid-19-Behandlungen hergestellten Geräte auf traditionellen technischen Konzepten oder handelt es sich um Neuentwicklungen ?
AW : Die Pandemie hat bei uns eine Initialzündung für die Produktentwicklung ausgelöst. Wir haben wie erwähnt bereits Anfang 2020 die Situation erkannt und als Erste den Markt mit Low-Cost-Geräten versorgt. Dann haben wir uns gesagt, dass Testgeräte benötigt würden, und haben in kurzer Zeit zwei neue automatisierte Assay-Ready-Pipettier-Automaten für schnelle Hochdurchsatz-Testings lanciert. Rund 60 Prozent der Covid-19-Tests werden auf Hamilton-Geräten durchgeführt. Der Logik folgend befassten wir uns – auch wieder früh – intensiv mit dem Thema Impfen und bieten heute Prozesssensoren an, die bei der Impfstoffherstellung benötigt werden. Hellhörig hat uns auch das Auftauchen der Mutanten gemacht, die mit Geräten aus unserem Hause hocheffizient identifiziert und sequenziert werden können.
DB : Ist der Fernzugriff auf Ihre Geräte, beispielsweise in Spitälern, für Überwachung und Wartung ein Thema oder im Hinblick auf den Schutz sensibler Gesundheitsdaten eher problematisch ?
AW : Wir arbeiten bereits mit Machine Learning, Algorithmen und Big Data Analytics, beispielsweise für Mustererkennungen. Dies mit dem Ziel, die bestmöglichen Treatments für die Patienten zu ermöglichen. Grundsätzlich wollen wir bei der Digitalisierung ganz vorne mit dabei sein. Schon heute ist ausnahmslos jedes Hamilton-Gerät mit dem Internet verbunden. Das verschafft uns die Datenhoheit. Wer die Daten kontrolliert, lässt in den Spitälern die Konkurrenz hinter sich.
DB : Um der gewaltigen Nachfrage nach Hamilton-Geräten nachzukommen, arbeitet Ihr Unternehmen im 24/7-Betrieb …
AW : Es gibt bei uns tatsächlich Bereiche, in denen wir das Maximum aus unserer Infrastruktur herausholen müssen. Es geht aber auch darum, dass wir in dieser Pandemiezeit möglichst wenige Mitarbeitende gleichzeitig im Betrieb haben wollen und die Abstände eingehalten werden. Dank der Flexibilität der Bündner Behörden erhielten wir innert kürzester Zeit die Bewilligung für Sonntagsarbeit.
DB : Herr Wieland, was kommt als Nächstes bei Hamilton ?
AW : Wir sind primär im Gesundheitswesen verankert. Beatmung wird ein Dauerthema bleiben, denn Atemprobleme der Menschen nehmen wegen der Luftverschmutzung leider zu. Hoch spannend für uns ist auch das Gebiet der DNA-Analysen, die zum Beispiel in der medizinischen Forschung, in der Pharmaforschung oder auch in ganz anderen Bereichen wie polizeilichen Ermittlungen zur Anwendung kommen. Wenn wir über das Gesundheitswesen hinausdenken, könnte die Lebensmittelproduktion interessante Anwendungsgebiete für Hamilton-Technologien bieten. Gegessen wird immer. Weiter sind wir im Umweltbereich tätig, nämlich bei der Analyse von Wasser und Luft sowie der Messung von Sauerstoff – alles Themen mit langfristiger Perspektive.
Das Gespräch fand Anfang Februar 2021 am Firmensitz der Hamilton Bonaduz AG statt.
Die weltweit tätige Hamilton-Gruppe gehört zu den Technologieführern in den Bereichen Life Sciences, Sample Management und Medizintechnik.
An den Schweizer Standorten in Bonaduz und Domat/Ems entwickelt und produziert Hamilton Beatmungsgeräte, innovative Roboter für die Laborautomation, Sensoren für die Biopharma-Industrie und weitere Automationslösungen für Forschung und Produktion. Wichtige Kunden sind Spitäler und Labore rund um den Globus. Zudem ist Hamilton in den Wachstumsmärkten Genetik, Robotik, Nahrungsmittel und Umwelt stark vertreten.
Hamilton beschäftigt weltweit 3'000 Mitarbeitende, davon die Hälfte im Bündner Rheintal. Weitere 15 Standorte befinden sich in Zürich, Basel, Rapperswil sowie in den USA, China, Rumänien und sieben Ländern Europas. Die Hamilton-Unternehmen befinden sich im Besitz der US-amerikanischen Familie Hamilton.