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In jeder menschlichen Unternehmung steckt das Risiko des Scheiterns. Der Vollblut-Innovator Wim Ouboter musste diese Erfahrung mehrmals in seinem Leben machen. Immer wieder stiess er auf Widerstand, doch nichts konnte ihn ausbremsen. Mit aller Konsequenz verfolgte er seine Vision von zeitgemässer, nachhaltiger Mobilität.
Das Familienunternehmen Micro Mobility Systems AG mit Hauptsitz in Küsnacht bei Zürich stellt heute eine breite Palette von Mikro-Fahrzeugen und verwandten Produkte bereit. Die Firma erzielt einen Umsatz von rund 80 Millionen Franken und vertreibt ihre Erzeugnisse in über 80 Ländern rund um den Globus.
Wie hat es Wim Ouboter immer wieder geschafft, erfolgreich aus Krisen hervorzugehen? Im Gespräch mit Daniel Bachofen, Geschäftsleiter der Bachofen AG, und Andreas Bachmann, Verkaufsleiter der Bachofen AG, verrät der unermüdliche Schaffer, was ihn antreibt.
Daniel Bachofen: Herr Ouboter, wie sind Sie zum Innovator geworden?
Wim Ouboter: Zuerst einmal möchte ich anmerken, dass ich ein miserabler Schüler war. Zwar war ich Klassenchef, aber ich kassierte immer die schlechtesten Noten. Der Grund dürfte meine Legasthenie sein. Damals in meiner Schulzeit wurde dies bei der Notengebung nicht berücksichtigt. War man im damaligen Schulsystem als Versager abgestempelt, blieb man in dieser Schublade.
DB: Und wie sind Sie der Schublade entkommen?
WO: Ich dachte, wenn ich in der Schule als Niete wahrgenommen werde, muss ich mich auf andere Stärken besinnen. Ich merkte, dass mein Talent darin lag, Leute zu motivieren, die dann einen Job dreimal besser machen, als ich es könnte. Es liegt mir, im Hintergrund die Fäden zu ziehen.
Andreas Bachmann: Was bedeutet Innovation für Sie?
WO: Ich frage mich immer: Wie kann ich in einen «Blue Ocean Market» hineingehen? Also einen Markt, in dem es noch keinen Preiskampf gibt, in dem man mit einem neuen Produkt noch Geld verdienen kann. Bis dann die Konkurrenten auftauchen und sich gegenseitig zerfleischen. Dann ist es Zeit für die nächste Innovation. Dieser Zyklus spiegelt sich auch in unserer Firmengeschichte wider. Wir traten von Beginn an jedes Jahr mit einer Innovation auf.
DB: Sie sprechen von Invention. Innovation wäre dann das, was in der Umsetzung daraus hervorgeht …
WO: Genau. Für mich steht immer die Umsetzung im Vordergrund. Fantasieren, auf Geistesblitze warten, zum Notizblock greifen und eine Skizze machen – all das bringt noch keine Innovation hervor.
AB: Wie halten Sie es mit dem Risiko des Scheiterns?
WO: Wer neue Wege geht, muss dieses Risiko auf sich nehmen. Wenn Sie ein todsicheres Geschäft machen wollen, werden Sie Coiffeur. Nichts gegen Coiffeure. Die einen haben mehr Haare, die anderen weniger, aber alle müssen zum Coiffeur gehen und das Business läuft. Anders ist es, wenn man wirklich etwas Neues anpackt, indem man sich sagt, ich kreiere ein Bedürfnis, einen neuen Markt. Und lanciere ein Produkt, das dieses Bedürfnis abdeckt.
DB: Ist dies bei Ihrem Trottinett wirklich so linear abgelaufen, wie Sie das schildern?
WO: Ja, es begann mit der Geschichte von Smart im Jahr 1999. Da hiess es «Reduced to the Max» und «the Future of Mobility». Der Smart benötigt nur einen Drittel eines Parkplatzes und man kann ihn direkt vor dem Kino parkieren. Aber vor dem Kino gibt es keine Parkplätze und so muss auch der Smart-Fahrer noch ein paar Schritte zu Fuss machen. Da haben wir uns gesagt: Geben wir ihm doch ein Trottinett, klein und ebenfalls «Reduced to the Max». Wir haben einen Prototypen gebaut und es hat mir richtig Spass gemacht, damit herumzufahren. Wir haben dann bei den Smart-Leuten präsentiert und sie fanden die Idee zumindest interessant.
DB: Wenn Sie ein Projekt abgeschlossen haben, denken Sie dann bereits an das nächste?
WO: Innovativ zu sein, grenzt bei uns an Besessenheit. Momentan arbeiten wir an 15 Projekten gleichzeitig. Zum Beispiel sind wir gerade im Begriff, den Rollator neu zu erfinden: einen Rollator, der nicht so sehr wie ein Rollator aussieht und über eine integrierte Einkauftasche verfügt. Wir sind auch mit Samsung beschäftigt, die ein GPS-Ortungsgerät herstellen, das wir in das Trottinett einbauen.
AB: Vergleichbar mit dem AirTag von Apple?
WO: Richtig. Wenn die Kids mit dem Trotti unterwegs sind, wissen die Eltern, wo sie sich gerade befinden. Oder man erkennt, wo sich das Gerät befindet, wenn es gestohlen wurde. Übrigens ist Samsung auf uns zugekommen und nicht umgekehrt. Es ist natürlich spannend, mit solchen Weltmarken zusammenzuarbeiten. Das hebt unsere kleine Firma gleich auf einen höheren Level.
DB: Wo stehen Sie mit dem Microlino?
WO: Wir haben das Microlino-Projekt vom Trottinett-Geschäft getrennt und sind in Kontakt mit potenten Investoren. Wir führen beispielsweise Gespräche mit den CEOs vom Amag und Rolex und Konzernen wie Kering. Auch eine saudische Prinzenfamilie zeigt sich interessiert. Das rückt das Ganze auf ein höheres Niveau. Im Moment finanzieren wir das Microlino-Projekt über das Trottinett-Geschäft, das immer noch gut läuft. Wir machen rund 80 Millionen Umsatz und vertreiben die Produkte in über 80 Ländern.
AB: Unser Gespräch steht unter dem Motto «Resilienz durch Innovation – aus Krisen Chancen generieren». Welche war die grösste Krise, die Sie durchmachen mussten?
WO: Covid hat uns sehr getroffen. Immerhin haben wir eine Fabrik in Italien und man kann bekanntlich nicht alles von zuhause aus machen. Dann die Währungen, die verrückt spielen. Des Weiteren litten wir unter den Unterbrüchen in den globalen Lieferketten und den rasant ansteigenden Frachtkosten. Wie bezahlten bis zu 18 000 Franken für eine Containerlieferung aus China. Da bleibt kein Verdienst mehr an den Produkten. Nun sind noch zwei Kriege hinzugekommen, vom Fachkräftemangel ganz zu schweigen. Die letzten drei Jahre waren sicher die schwierigsten in meinem beruflichen Werdegang.
AB: Das bringt mich zur nächsten Frage. Was ist Ihr Rezept, um eine Krise zu meistern?
WO: Ich nenne es «the power of positive thinking». Erstens darf man nicht in eine Abwärtsspirale geraten. Zweitens soll man sich mit starken Partnern zusammentun und gemeinsam Synergien identifizieren. Hilfreich ist «Out of the box thinking», also darüber nachdenken, was auch noch möglich wäre. Ich hatte heute eine Besprechung im Verkehrshaus Luzern. Man rollte mir sozusagen den roten Teppich aus und lud mich ein, mit dem Microlino als Schweizer Automobilproduzent Präsenz zu markieren. Auch die Organisation von Testfahrten sei möglich und vieles mehr.
DB: Seit längerer Zeit arbeiten Ihre Söhne Oliver und Merlin im Unternehmen mit. Wie funktioniert das?
WO: Wir haben damals vereinbart, dass meine Söhne nach der Matura ein Zwischenjahr im Betrieb absolvieren. Beide haben das gut gemacht und beide konnten sich für unsere Vision begeistern. Als der jüngere Sohn Merlin eintrat, ging beim Microlino-Projekt – damals noch eine Vision – gerade die Post ab: Er reiste mit einem Studenten der ZHAW nach China, wo er zwei Prototypen baute und die Fühler nach einem Herstellerpartner ausstreckte.
DB: Sie haben schon zahlreiche Innovationen erfolgreich umgesetzt und sind durch verschiedene Krisen gegangen. Aus dem Gefühl heraus wissen Sie, dass immer wieder auch Chancen kommen. Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass die Welt nicht untergeht?
WO: Es bringt nichts, sich über Dinge den Kopf zu zerbrechen, die man nicht ändern kann. Ich lese auch viel weniger Zeitung als früher, weil da doch viel Negatives drinsteht. Da ist noch etwas anderes: In der Krise muss man vor allem dafür sorgen, dass genügend Cash vorhanden ist. Schon als Junge war ich darauf bedacht, so viel zu sparen, dass ich ein Jahr nicht arbeiten müsste. Das machte mich frei in meinen Entscheidungen.
AB: Was ist neben der Liquidität auch noch wichtig, um in Krisenzeiten erfolgreich zu bleiben?
WO: Die Motivation im Team darf niemals beeinträchtigt werden. Gerade in der Krise ist es entscheidend, sich auf das Positive zu konzentrieren und sich nicht darüber aufregen, was schiefgegangen ist. Das war auch so, als es darum ging, den Microlino zur Serienreife zu bringen. Diesen Job haben meine beiden Söhne übernommen, die trotz oder gerade wegen ihren unterschiedlichen Charakteren und ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten extrem gut zusammenarbeiten und sich gegenseitig respektieren. Ich kann auch auf die volle Unterstützung meiner Frau zählen, die die Buchhaltung macht.
AB: Welche Rolle haben Ihre Geschäftspartner in Krisenzeiten gespielt? Waren sie Teil des Problems oder Teil der Lösung?
WO: Ganz klar Teil der Lösung. Wir pflegen grundsätzlich langfristige Beziehungen mit unseren Lieferpartnern. Als wir einen Rückgang im Trottinett-Geschäft erlebten, haben wir die überzähligen Schrauben zurückgegeben. Umgekehrt hat einer unserer Lieferanten mit seinem Team nach Möglichkeiten gesucht, sein Produkt günstiger zu machen. Grundsätzlich habe ich unsere Partner dazu aufgefordert, uns entgegenzukommen, wenn sie weiterhin im Geschäft bleiben wollen.
AB: Mich beeindruckt, dass es Ihnen gelungen ist, den Microletta zu entwickeln, während das Microlino-Projekt in der Schwebe war. Ich denke, um innovativ zu sein, muss man frei von Belastungen sein, damit sich der Erfindergeist unbeeinträchtigt entfalten kann.
WO: Zum Glück florierte das angestammte Trottinett-Geschäft weiterhin. Es ging mit darum, die Mitarbeitenden des gestoppten Microlino-Projekts bei der Stange zu halten. Mit dem spannenden Microletta-Projekt und den damit verbundenen Kontakten mit Designern konnte ich sie motivieren. Das ist eben «the power of positive thinking».
DB: Können Innovation und die industrielle Fertigung eines innovativen Produkts im selben Unternehmen angesiedelt sein? Das sind doch zwei verschiedene Paar Schuhe …
WO: Ich habe mich zu Beginn voll auf Innovation konzentriert, die industrielle Fertigung an Partnerfirmen delegiert und bei diesen unsere Bestellungen platziert. Ich hatte eigentlich nur ein Marketing- und ein Logistikbüro. Mittlerweile weiss ich, was Industrialisierung bedeutet. Jetzt trifft es mich direkt, wenn der Absatz eines Produkts erodiert. Vielleicht muss ich bekennen, dass ich mein Geld früher ein bisschen zu einfach verdient habe, weil ich nicht für die Produktion verantwortlich war. Die industrielle Fertigung mit ihren gewaltigen Investitionen in Anlagen und personelle Ressourcen hat wirklich eine ganz andere Dimension.
AB: Zum Beispiel Werkzeugkosten im mehrstelligen Millionenbereich …
WO: Wenn Sie sich auf Marketing und Logistik konzentrieren, können Sie das Geschäft entwickeln und wenn es nicht mehr läuft, den Laden schliessen. Als Produzent kann man sich nicht einfach davonstehlen. Das ist eine ganz andere Verantwortung.
DB: Eine letzte Frage: Was für einen Tipp würden Sie Wim Ouboter geben, wenn Sie 40 Jahre zurückgehen könnten ? Was würden Sie anders machen?
WO: Sicher würde ich für wichtige Verträge früher Anwälte beiziehen. Gerade wenn es weniger gut läuft, hat man mit schlechten Verträgen schlechtere Karten. Also weniger Handshake und mehr Sicherheit durch eine solide rechtliche Struktur. Ich war etwas geizig, wenn es um die Absicherung der Verträge ging, und wurde dafür mit Kosten für spätere Rechtsstreitigkeiten bestraft.
DB: Zum Schluss möchte ich Ihnen ein Riesenkompliment machen. Wenn die Sache mit den Anwälten das Einzige ist, was Sie anders machen würden, dürfen Sie auf Ihre Story wirklich stolz sein.
WO: Wenn ich mir ebenfalls ein Schlusswort erlauben darf: Wir können der Erderwärmung nur begegnen, wenn wir bereit sind, die Komfortzone zu verlassen. Umdenken ist angesagt. Ein Elektromotor allein ist längst nicht nachhaltig. Wir müssen beim Gewicht und der Grösse der Autos abspecken. Der Microlino entspricht diesem Ansatz. Unser Konzept ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung.
Das Gespräch fand am 9. Januar 2024 im Micro Brandhouse in Obermeilen statt.
Wim Ouboter, Schweizer mit holländischen Wurzeln, ist ein Querdenker im positiven Sinn. Er überstand die Schulzeit schlecht und recht, machte eine Lehre als Bankkaufmann, die ihn in erster Linie langweilte, und fasste den Entschluss, aus der Norm auszubrechen. «Go West, young man», flüsterte ihm eine innere Stimme zu, also ging es ab in die USA. Zurück in der Schweiz absolvierte er erfolgreich ein Wirtschaftsstudium auf Bachelor-Niveau. Doch der Erfindergeist hatte ihn gepackt und liess ihn nicht mehr los. Das Thema Mikromobilität setzte sich in seinem Kopf fest und wurde zum Sinn seines Lebens.
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